Anekdoten & Gedanken vom Redaktionsteam
Seit Langem freue ich mich mal wieder, gegen ein hypochondrisches Hüsteln in Zeiten von Corona den Beschaffungsgang zum nahegelegenen Mini-Kiosk am Mini-Bahnhof zu machen. Ricola steht auf der Einkaufsliste. Sonst ein trauriges Unterfangen: Hastende Pendler, auf den Bus rennende Menschen und startende Autos. Heute: viel Sonnenschein, befreiende Leere und ein Kioskbesitzer, der auf der Terrasse der gegenüberliegenden geschlossenen Gastwirtschaft Zeitung liest und bei einer Kanne Pfefferminztee von seiner Heimat im Norden des Libanon erzählt. Er nimmt mich mit auf eine kleine Gedankenreise. Dieser kurze Ausflug zum Kiosk hat sich gelohnt!
Als mich meine Nachbarn zum Essen einladen, sage ich spontan zu. Nach Wochen im Homeoffice, in denen ich meine sozialen Kontakte ausschliesslich online gepflegt habe, freue ich mich auf ein persönliches Zusammentreffen mit «echten» Menschen. Kurz darauf sage ich die Einladung wieder ab: der geforderte Abstand von zwei Metern scheint mir bei einem Znacht einfach nicht realistisch. Dafür stossen wir von Balkon zu Balkon mit einem Glas Champagner auf bessere Zeiten an. Kurz darauf klingelt es an der Tür. Nach dem Apéro gabs Neighborhood Home Delivery und einer der beiden überreicht mir einen reich gefüllten Teller: «Zwar sitzen wir heute Abend nicht zusammen am Tisch, doch so sind wir wenigstens in Gedanken verbunden.» Was für ein Glück, solche Nachbarn zu haben! Ich fühle mich beschenkt.
Heute in aller Herrgottsfrühe auf dem Vita Parcours: Ich will mich bewegen, die Ruhe geniessen und neben meinen eigenen Schritten nur das Vogelgezwitscher hören. Stattdessen ist gleichzeitig mit mir eine Mutter unterwegs, die per Kopfhörer und Facetime ihren Kindern die Übungen erklärt: «Schau hier die Mannsgöggeli, so müsst ihr das machen… geh biz mehr in die Knie, Joshua, schau so …Selina, komm, mach doch auch mit ...» Die morgendliche Ruhe ist damit zwar dahin. Dafür aber steigt meine Bewunderung für Eltern, die neben dem Homeoffice auch noch ihre Kinder bei Laune — und fit — halten müssen.
Mich beschäftigt, was inzwischen alles für den Begriff «Solidarität» herhalten muss. Regional einkaufen, dem Nachbarn helfen, andere nicht anstecken — das sind eigentlich lauter Selbstverständlichkeiten.
Heute wechsle ich für die kommenden zwei Wochen vom Homeoffice zu Home Holidays. Ich bin gespannt und freu mich drauf, so weit von meiner Haustür weg und zurück zu ihr zu kommen, wie mich meine Füsse tragen und wie es hygienetechnisch drin liegt.
Freunde von uns haben ein uraltes Haus im Appenzell kaufen können. Natürlich wollen wir sie so schnell als möglich besuchen. Wir rechnen damit, auf Distanz zu winken, das Bijoux von aussen zu bestaunen und danach spazieren zu gehen. Aber nein, sie bestehen darauf, dass wir das Wochenende bei ihnen bleiben — zusammen kochen und essen und im über 300 Jahre alten Gebälk schlafen. So geht Freundschaft, so geht Glück!
Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich heute Morgen die Zähne geputzt habe. Dafür habe ich den Schnauz beim Rasieren stehen lassen. Ich frage mich, wohin das alles noch führt …
In der Abenddämmerung jogge ich auf dem Vita Parcours durch den Wald. Ich höre nur meinen gleichmässigen Atem und die Schritte auf dem weichen Boden. Ein Vogel singt sein Abendlied. Als ich um eine Kurve biege, kreuzen drei Rehe den Weg. Ich bleibe stehen und bewundere die zarten Tiere. Auch sie bleiben stehen und schauen mich an. Was sie wohl denken? Es bleibt ihr Geheimnis. So stehen wir eine ganze Weile, bis sie langsam im Gebüsch verschwinden. Den Rest der Strecke lächle ich vor mich hin.